Volksbund Logo Desktop Volksbund Logo Mobil

Meldung

Meldung

Von Ort zu Ort: Erinnern an Riga

„Wannsee-Konferenz“ vor 80 Jahren: Volksbund konzipierte Wanderausstellung zu Deportationen, Tatorten, Erinnerungskultur

Vor 80 Jahren, am 20. Januar, besprachen 15 Männer am Wannsee bei Berlin – auf Einladung des von der NS-Führung beauftragten Reinhard Heydrich – die „Endlösung der Judenfrage“. So lautete der Tarnbegriff für den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung Europas. Die Erinnerung an die Folgen der „Wannsee-Konferenz“ halten Volksbund und Riga-Komitee mit einer neuen Wanderausstellung wach. Im Fokus: die lettische Hauptstadt.
 

RIGA DEPORTATIONEN TATORTE ERINNERUNGSKULTUR ist der Titel der Ausstellung. Sie soll – wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem Geleitwort schreibt – „uns […] den Blick in die eigene und in die gemeinsame Geschichte (ermöglichen). Gemeinsam hoffen wir, dass die Erkenntnis, die wir daraus gewinnen, uns vor einem Rückfall in die Barbarei bewahren wird. Und wir vertrauen auf die Verbindungen, die unter neuen Vorzeichen in der gemeinsamen Arbeit an diesem Ort gewachsen sind.“ Begleitend ist eine Broschüre erschienen.
 

Im Baltikum längst an der Tagesordnung

Doch zunächst ein Blick zurück: Unter den Teilnehmern der „Wannsee-Konferenz“ war auch Dr. Rudolf Lange, SS-Sturmbannführer, Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) für Lettland. Er kam aus der lettischen Hauptstadt Riga und vertrat seinen Vorgesetzten, Dr. Franz Walter Stahlecker, SS-Brigadeführer, Leiter der im Juni 1941 gegründeten Einsatzgruppe A der Sicherheitspolizei und des SD, und war ein „erfahrener Praktiker“ der Massenexekutionen.

Im Baltikum war die „Endlösung“ – die systematische Ermordung der europäischen Juden – bereits im vollen Gange. Anders als in den späteren Vernichtungslagern, die zum Inbegriff der Schoah werden sollten, wurden diese Opfer – nach dem Überfall auf Polen und vor allem zwei Jahre später auf die Sowjetunion – an zahlreichen Orten außerhalb von Städten und Dörfern beim Vormarsch der deutsche Truppen massenhaft erschossen. Viele weitere starben zudem an den elenden Arbeits- und Lebensbedingungen in den zahlreichen Ghettos und Lagern.
 

 „Platz schaffen“ für Deportierte

Im November 1941 rollten die ersten Deportationszüge aus dem Deutschen Reich zunächst nach Kowno (heute Kaunas) in Litauen und ab Ende des Monats dann nach Riga. SS-Chef Heinrich Himmler gab den Befehl zur Räumung des Ghettos in Riga, um „Platz zu schaffen“ für die anlaufenden Deportationen deutscher Jüdinnen und Juden in den Osten.

Dieser Befehl wurde von Friedrich Jeckeln, seinem regionalen Stellvertreter im Generalkommissariat Lettland, umgehend umgesetzt. Jeckeln unterstellte SS- und Polizeieinheiten hatten bereits mehrere Massenmorde verübt, darunter Ende September 1941 das Massaker von Babyn Jar bei Kiew mit über 33.000 Toten an zwei Tagen.

Am 30. November („Rigaer Blutsonntag“) und am 8. Dezember 1941 erschossen diese deutschen SS- und Polizei-Einheiten mit lettischen Hilfskräften im Wald von Rumbula vor den Toren Rigas mehr als 27.500 meist lettische Jüdinnen und Juden. Auch Rudolf Lange als Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Lettland kommandierte persönlich Massenerschießungen im Wald von Rumbula.
 

Erste Opfer stammten aus Berlin

Die ersten Ermordeten dort waren jedoch am frühen Morgen des 30. November 1941 die 1.053 Männer, Frauen und Kinder, die drei Tage vorher mit dem ersten Transport aus Berlin nach Riga deportiert worden waren.

Insgesamt wurden von November 1941 bis zum Oktober 1942 in 32 Transporten an die 30.000 Männer, Frauen und Kinder aus dem Gebiet des damaligen „Großdeutschen Reiches" – aus dem so genannten Altreich, aus der „Ostmark" (Österreich) und aus dem „Protektorat Böhmen und Mähren" (der besetzten Tschechoslowakei) – in die von deutschen Truppen besetzten baltischen Staaten verschleppt. Der größte Teil von ihnen gelangte in den Raum Riga. Nur ungefähr vier Prozent überlebten das Inferno der „Endlösung der Judenfrage".
 

Erinnerungsarbeit begann spät

Erst Ende der 1980er Jahre begann die Erinnerungsarbeit mit Blick auf das damalige Geschehen in und um Riga – meist initiiert von jüdischen Angehörigen sowie von Historikerinnen und Historikern. Große Verdienste erwarb sich dabei in Deutschland vor allem der spätere Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei, der noch zu Sowjetzeiten erstmals in Riga war.

Am 23. Mai 2000 gründeten Repräsentantinnen und Repräsentanten von 13 deutschen Großstädten gemeinsam mit dem Präsidenten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Berlin im Beisein von Vertretern der Städte Riga und Wien das „Deutsche Riga-Komitee“.
 

Städtebund „Riga-Komitee“

Dieser inzwischen auf über 60 Städte angewachsene, in Europa einzigartige erinnerungskulturelle Städtebund hat es sich zur Aufgabe gemacht, an die mehr als 25.000 jüdischen Bürgerinnen und Bürger zu erinnern, die in den Jahren 1941/42 nach Riga deportiert und in ihrer überwiegenden Zahl im Wald von Bikernieki ermordet wurden. Jüngstes Beispiel ist eine Gedenkveranstaltung vom 29. November 2021, die die Deutsche Botschaft, die jüdische Gemeinde Riga und das „Riga-Komitee“ gemeinsam organisiert hatten.

Das Komitee fühlt sich in seiner Arbeit auch den mehr als 26.000 lettischen jüdischen Opfern des Rigaer Ghettos verbunden, die am „Rigaer Blutsonntag“ und in der Woche danach in Rumbula ermordet wurden.
 

Gräber- und Gedenkstätte Bikernieki

Im Wald von Bikernieki wurde am 30. November 2001 eine würdige Gräber- und Gedenkstätte für die Opfer eingeweiht, genau am 60. Jahrestag des „Rigaer Blutsonntag“ und 60 Jahre nach Beginn der Deportationen aus Deutschland. In den Mitgliedskommunen erinnern wiederum viele größere und kleinere Monumente an die Lebensorte ihrer jüdischen Bürgerinnen und Bürger wie Synagogen und jüdische Schulen, aber auch an die Verfolgungsorte wie Deportationsbahnhöfe und Sammellager.Das Komitee verbindet damit das lokale Gedenken an jüdisches Leben in unzähligen Dörfern und Städten mit dem transnationalen Gedenken am gemeinsamen Zielort der Deportation, in Riga.
 

Ausstellung geht auf Tour

Beides nimmt auch die neue Wanderausstellung RIGA DEPORTATIONEN TATORTE ERINNERUNGSKULTUR in den Fokus. Sie ist mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes entstanden, war im November in Berlin zum ersten Mal zu sehen und geht jetzt von Kassel aus auf Tour.

Zunächst gibt sie einen Überblick über die Deportationen nach Riga, die in den Schritten „Ausgrenzung“, „Verfolgung“ und schließlich „Vernichtung“ erfolgten. Anhand von Beispielen wird über Sammellager und die Organisation der Deportationen in einzelnen Städten informiert.
 

Von Jungfernhof bis Salaspils

Dann kommen die Tatorte in den Blick und mit ihnen die Frage, warum Riga Deportationsziel war. Erläuterungen gibt es zu den Lagern Jungfernhof, Salaspils, zum Lagerkomplex Riga-Kaiserwald, zum Ghetto in Riga und den Schauplätzen der Ermordungen in den Wäldern von Rumbula und Bikernieki.

Auch die in diesem Zusammenhang vor Ort geleistete Zwangsarbeit wird thematisiert. Einzelne, heute klar als solche benannte Täterinnen und Täter in Riga und die mörderischen Institutionen im NS-System nimmt die Ausstellung ebenfalls in den Fokus.

Der abschließende Teil widmet sich der heutigen Erinnerung an die damaligen Ereignisse in Riga, aber auch an die Deportationsgeschichte im Deutschen Reich beziehungsweise den besetzten Gebieten. So werden die Gräber- und Gedenkstätte im Wald von Bikernieki sowie Erinnerungsorte in einzelnen Mitgliedsstädten des „Riga-Komitees“ vorgestellt.
 

Eigene Seite und Broschüre

Auf der Seite www.riga-komitee.eu finden sich weitere Informationen. Die bisherigen Materialien gibt es in der Mediathek zur Ansicht und zum Bestellen. Unter anderem ist eine Begleitbroschüre zur Wanderausstellung des Riga-Komitees erschienen.
 

Ausleihe möglich

Wer Interesse daran hat, die Ausstellung zu zeigen, erhält hier Informationen zur Ausleihe: https://www.riga-komitee.eu/kontakt. Auch zu allen weiteren Fragen gibt es dort Auskunft. Das mobile System besteht aus Stangen und bedrucktem Stoff und passt in einen mittelgroßen Kofferraum.

Erste Termine sind geplant: Ab 26. Januar soll sie in Georgensmünd (Gemeindeverwaltung) zu sehen sein, ab 22. Februar in  Bottrop (Stadtarchiv), ab 4. April in Wadersloh (Ort noch offen) und ab 23. Mai in Herford (Kreishaus).

Text: Thomas Rey
Kontakt

Die Volksbund-Ausstellungen

Weitere neue Ausstellungen präsentiert der Volksbund im In- und Ausland. Gerade an die Landesverbände ausgeliefert ist die Präsentation mit dem Titel „Gemeinsam für den Frieden – Kriegsgräberstätten als europäische Lernorte“. Sie ist entstanden, um die Arbeit des Volksbunds auf Friedhöfen im Ausland in Zeiten der Pandemie auch im Inland zu zeigen. Sie dokumentiert die Entwicklung von Kriegsgräberstätten im Rahmen des Projekts „19 für 19“ und soll in allen Bundesländern demnächst auf Tour gehen. Nachgeliefert wird noch ein Medienmodul.

Eine neue Dauerausstellung hat der Volksbund zuletzt im Oktober 2021 in Maleme auf Kreta eröffnet. Weitere Eröffnung sind für 2022 geplant, unter anderem auf Kriegsgräberstätten im italienischen Cassino, im französischen Niederbronn-les-Bains, im niederländischen Ysselsteyn, im britischen Cannock Chase und auch in der Gräber- und Gedenkstätte Riga-Bikernieki.

Der Volksbund finanziert seine Arbeit vor allem aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden.