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Elli Kamm: Die Deportation nach Skirotava

Elli Kamm: Die Deportation nach Skirotava

Meine Mutter war religiös und glaubte, dass Gott ihr helfen würde und meinen Vater freikommen lassen würde und wir in der Lage wären, zu gehen. Wie sich herausstellte, wurden sie nicht entlassen. In der Zwischenzeit hatten wir erfahren, das war Ende 1941, dass wir uns bereithalten sollten, damit sie uns in Arbeitslager und so weiter und so fort transportieren können. Aber wir wussten nicht wohin und wie.

Im Januar 1942 pferchten sie uns zusammen in einem großen Warteraum und steckten uns in Züge. Der Transport ging nach Riga, in Lettland. Die Züge waren sehr kalt. Ich weiß nicht mehr genau, es waren fünf Tage, sechs Tage. Es war kalt. Einigen Leuten erfroren die Finger, die Zehen, die Füße, es war schrecklich. Wir hörten die Flugzeuge, es gab Schiessereien, Bombardierungen, aber jedenfalls kamen wir Ende Januar, Anfang Februar bei Riga an. Der Ort hieß Skirotava. Es fror, es war kalt. Und denken Sie daran: Bevor wir Deutschland verließen, sagten sie uns, wir könnten nur so und so viel mitnehmen. Wir zogen zwei Unterhemden, drei Pullover, drei Blusen, drei, vier Unterhosen an, so dass, wenn sie uns das Gepäck wegnehmen würden, wir immer noch das hätten, was wir am Körper hatten und so die Möglichkeit hätten, eine Zeit lang zu wechseln. Sicher.

Als wir in Skirotava ankamen und die SS da stand, ich denke, Obersturmführer Lange war sein Name und einige Andere. Mit Hunden und Schnee bis zum Hals und sie sagten: "Raus, raus, raus!" Das war einfach schrecklich, ich meine so ein Chaos. Es war unglaublich. Das Gepäck musste dort sein, du musstest dahin gehen und sie sagten uns, sie befahlen uns, zu dritt oder zu viert da zu stehen und abzumarschieren. Irgendwie hatte ich, bevor das alles passierte, ein Mädchen aus Duisburg kennen gelernt und wir freundeten uns sehr an. Ihr Name war Lotti Berger. Sie war vielleicht einen Monat oder so vor uns abgefahren, und wir waren nicht sicher, ob sie in Riga war, denn sie brachten die Leute nach Lodz, das sie zu der Zeit Litzmannstadt nannten, und nach ganz verschiedenen Orten, aber wir wurden nach Riga gebracht.

Und jetzt sehe ich hier Lotti, diese Freundin, und sie sagte mir sehr schnell, sie musste sehr vorsichtig sein, sie instruierte mich darüber, was zu tun und was zu unterlassen war: "Geh, spricht mit mir, dreh dich nicht um, tu dies nicht, tu das nicht, ich bin hier soundso, ich habe mich freiwillig gemeldet, um mit den Leuten zu helfen, ihnen zu helfen, zum Ghetto zu gehen, wir gehen in ein Ghetto, fass nichts an, sag nichts, versuche, so unauffällig wie möglich zu sein, und tu, was sie dir sagen" Sie instruierte mich wirklich, so dass wir, als ich zum Ghetto kam, wussten, was wir zu erwarten hatten. Alle paar Tage kamen andere Transporte: ich denke, der erste war der Kölner Transport, dann waren da der Leipziger Transport, tschechoslowakische, unserer wurde "Dortmunder Transport" genannt. Als sie ins Ghetto kamen, hatten sie Bezirke, dies ist der Kölner Transport, dieser ist von dieser Stadt und dieser ist von jener, das waren die verschiedenen Bezirke im Ghetto.

Als die ersten Kölner ins Ghetto kamen, war man gerade damit fertig geworden, die lettischen Juden zu töten, Mütter mit Kindern im Arm, die Straßen waren immer noch voller Ströme von Blut. Sie kamen in die Zimmer, die Häuser, wo das Essen noch auf dem Tisch war, manchmal noch warm, Essen war noch im Ofen. So schnell hatte man sie zusammengetrieben, sie getötet und sie weggeschafft, ich weiß nicht, wie viele. So gab es für diese neuen Leute Unterkunft.

Jedenfalls waren wir der Dortmunder Transport. Und wieder waren vier, fünf Familien in einem Zimmer. Später gelang es uns,die Räume wurden saubergemacht, gereinigt vom Säuberungskommando von was auch immer übrig geblieben war, eine größere Unterkunft zu finden, ich meine, mehr Räume nur für die Familie. Sie brachten auch täglich Leute aus dem Ghetto nach Orten draußen, so es dass wieder mehr Platz gab und wir dieses eine Zimmer haben konnten. Jedenfalls war das Ghetto aufgeteilt unter die deutschen Juden und die lettischen Juden. Die lettischen Juden waren hauptsächlich Männer, weil man die meisten Frauen und Kinder weggeschafft hatte.

Am Anfang gab es eine ziemliche Missstimmung, weil ihre Frauen und Kinder hier weg waren, und hier kamen die deutschen Juden; vielleicht dachten sie, dass sie für uns Platz machen mussten. Die Nahrungsmittel waren zu der Zeit knapp, aber später hatte man das Ghetto besser organisiert. Sie hatten sogar kleine Schulen, Räume, wo die Kinder unterrichtet wurden, sie versuchten, es so normal wie möglich zu machen, ich meine, ein normales Leben zu bewahren. Sie hatten ein Hospital, "Lazarett" nannten sie es, sie versuchten, es so normal wie möglich zu machen.

Ghetto

In der Zwischenzeit kamen Transporte herein, manche kamen niemals bis ins Rigaer Ghetto, manche waren draußen, wo man sie sofort ermordete. Ganz offensichtlich gehörten wir zu den Glücklichen, dass wir dort blieben. Und dann trieb man uns zur Arbeit zusammen. Jeden Tag hatte jeder Bezirk einen Arbeitsdienst; jemand war verantwortlich dafür, die Leute für die Arbeit abzustellen, es gab einen Lagerältesten, sie waren ziemlich organisiert, wie die Deutschen es zu machen pflegten. Meine Mutter war nicht in der Lage zu arbeiten. Mein jüngster Bruder war zu der Zeit 7 Jahre alt, er war nicht in der Lage zu arbeiten. Also war ich die jenige, die hinausgehen und arbeiten konnte, was gut war: man konnte wenn man etwas übrig hatte, konnte man es gegen etwas Butter oder etwas Brot eintauschen, oder Stücke Holz, und es ins Ghetto schaffen. Und wenn man selbst es nicht konnte, dann gab es jemand anderen, der es für einen tun konnte, aber er nahm dann die Hälfte. Besonders die lettischen Juden sprachen die Sprache, und sie konnten es besser machen als wir, weil wir die Sprachschwierigkeiten hatten.

Ich hatte großes Glück: Die meiste Zeit arbeitete ich für die Wehrmacht, und die waren viel mitfühlender als die SS. Aber wir wurden in Kolonnen hinausgeführt, marschierten hinaus aus dem Ghetto mit Leuten von der Arbeitsstätte, mit Kolonnenführern und, es gab immer jemanden, der verantwortlich war, und dann die bewaffneten Wachen, die uns bewachten, und wir gingen auf der Straße zur Arbeit. Wenn man für die Wehrmacht arbeitete, war es gut. Sie versuchten, so streng wie möglich zu sein, aber hinter dem Rücken versuchten sie, einem zu helfen.

Es passierte zum Beispiel einmal, dass ein junger Mann zu mir herüber kam und sagte: "Geh rauf und mach mein Zimmer sauber, sehr barsch, "und zwar schnell!" Und ich ging nach oben, und oben brauchte ich nicht sein Zimmer sauberzumachen: da war Brot, Butter, Marmelade, so dass ich ein bisschen besser essen konnte und nicht hungrig wäre, und meine Ration, die ich im Ghetto bekommen würde, für meine Mutter oder irgend jemand anderen wäre. Nun war die Frage, wie bekommt man es ins Ghetto? Also schnitt man es in Stücke und steckte es sich überall hin; wenn man Hosen trug, band man seine Hosen, denn wenn man ins Ghetto kam, gab es Stichproben, sie kamen herüber und versuchten, einen zu untersuchen, um herauszufinden, ob man etwas hereinbrachte.

Ich weiß nicht, wenn man jung ist, ist man so mutig, man macht sich nichts daraus, man macht es sowieso, man denkt nicht, dass einem Dinge passieren können. Denn es kam vor, dass, wenn sie etwas bei einem fanden, sie einen sofort zum Thingplatz* (Richtplatz), wie sie es nannten, brachten, und erschossen. Nun, es gelang mir, die Sachen hereinzubringen, ich hatte Glück, verdammtes Glück, offensichtlich, und half auf diese Weise meiner Mutter.

Meine Mutter nähte und besserte etwas aus, das ich vielleicht mit hinausnehmen und wieder gegen Nahrungsmittel eintauschen konnte, so dass wir uns am Leben halten konnten. Nun, dies ging so von 1942 bis 1943. Allmählich verschwanden Leute. Man sagte, sie würden in verschiedene Arbeitslager geschickt, sie bräuchten sie hier und dort, aber wir wussten, dass sie nicht dorthin kamen, dass sie sie erschossen und sie ihre eigenen Gräber ausheben mussten. Eines Tages, gegen Ende 1943, das Ghetto wurde schon kleiner und kleiner, weniger Leute waren da.

Der Mann, dessen Aufgabe es war, Arbeitskräfte abzustellen, war jemand, der einmal für meine Eltern in Gelsenkirchen gearbeitet hatte, ich denke, er machte die Buchhaltung. Er versuchte, meine Mutter zu retten, die eine kranke Frau war, versuchte, ihren Namen bei den so genannten Arbeitskräften für außerhalb des Ghettos so lange wie möglich herauszuhalten. Aber es kam die Zeit, da hatte er niemanden mehr verfügbar, er musste Namen abliefern, Leute, die nicht arbeiteten, und Junge.

Und so bekamen wir die Mitteilung, dass sie an diesem und jenem Tag am Appellplatz zu stehen hatten, man würde sie, auch meine Mutter und meinen kleinen Bruder, in ein anderes Arbeitslager überstellen. Ich arbeitete ja ständig, mein Name war da nicht. Ich sagte: "Ich gehe mit euch, ich würde euch nicht allein gehen lassen." Da stehen wir jetzt also auf dem Appellplatz, meine Mutter, mein kleiner Bruder, und warten darauf, was auch immer geschehen möge, wir sehen da einige Lastwagen. An einer Stelle sagt meine Mutter: "Mensch, wir stehen hier und warten, vielleicht läufst du besser zurück zum Zimmer und versuchst, ein anderes Paar Schuhe zu bekommen." Es gab ein Paar bessere Schuhe. Dieses hatte ein schreckliches Loch. "Warum gehst du nicht, sieh zu, dass du hindurch kommst und es bekommst."

Nun, alle paar Meter war ein SS-Mann mit seinem Gewehr, mit seiner Maschinenpistole, um sicherzustellen, dass keine hindurch käme. Irgendwie, ich war jung, und sie hatten begriffen, dass ich eine von den Arbeitskräften war, sie ließen mich durch. Ich gelangte zurück, und das Zimmer war schon völlig in Unordnung. Irgendwie musste die SS dahingegangen sein und nachgesehen haben, ob sie etwas finden konnten, Schmuck oder Gold oder Geld oder was auch immer. Ich fand die Schuhe, ich ging zurück, ich sah überhaupt keine SS-Leute mehr, und ich kam zurück und sie waren weg... Ich war ganz allein...

Riga-Kaiserwald

Ich wusste zu der Zeit nicht, wohin man sie brachte. Ich war mir völlig sicher, dass sie tot waren. Noch hier in Riga getötet. Später fand ich heraus, dass man sie nach Auschwitz gebracht hatte. Und ich hatte einen Bruder in Auschwitz. Dem sagte einer aus meiner Heimatstadt, der auf denselben Transport geschickt worden war: "Freddie, ich habe deine Mutter, deine Schwester und deinen Bruder gesehen, ich weiß, sie sind hier." Ach, ich habe vergessen, Ihnen von Sachsenhausen, Oranienburg zu erzählen.

Während wir nach Riga gebracht wurden, holten sie sie da weg und brachten sie nach Auschwitz. Und als sie nach Auschwitz kamen, selektierte man meinen Vater nach links, meine Brüder nach rechts, und mein Vater wurde geradewegs in die Gaskammer gebracht und Freddie und Leo blieben in Auschwitz. Na ja, Freddie war jung und war in der Lage klar zu kommen und er hatte Protektion, wie man es nannte, er hatte einen Stein im Brett beim Lagerältesten und er versuchte herauszubekommen, wo ich war, ob sie mich nach Auschwitz geschickt hatten. Er wusste, dass sie meine Mutter, meinen kleinen Bruder nicht leben lassen würden, dass sie sie geradewegs in die Gaskammer schicken würden, aber ich war ein Teenager, jung und vergleichsweise gesund, in der Lage zu arbeiten, so dass ich hätte überlebt haben können.

Und er versuchte sein Bestes, um heraus zu finden, ob ich überlebt hatte, um Kontakt mit mir aufzunehmen. Aber es klappte nicht, weil ich nicht da war. Hier war ich ganz allein geblieben mit ein paar anderen jungen Leuten und das Ghetto wurde liquidiert. Sie schickten uns nach Riga-Kaiserwald. Es war schon ein Konzentrationslager. Da waren die Männer und die Frauen getrennt, durch Stacheldraht und die SS getrennt. Dort wurden wir von Berufsverbrechern begrüßt, die da gefangen waren, und von politischen Gefangenen. Es war einfach schrecklich.

Sie steckten uns in ein Zimmer, wir mussten uns völlig nackt ausziehen, sie nannten es Entlausung. Aber keiner hatte Läuse zu der Zeit. Und sie nahmen alles, was man auch haben konnte oder bekommen hatte in der Zeit im Ghetto. Und wir wurden völlig nackt ausgezogen und unter eine Dusche gestellt, geduscht und entlaust, was immer das sein mochte, und man gab uns Lagerkleidung. Die war zu groß, zu klein, die Schuhe hatten nicht deine Größe, und sie steckten uns in Baracken. Zuerst hatten sie zwei Leute auf einer Pritsche, oben und unten.

Ich habe vergessen zu erzählen, wie krank ich im Ghetto war mit Furunkeln vom Hals bis zu den Zehen und an den Armen. Man kann die Narben heute noch sehen. Und es wollte nicht weggehen, es war nicht zu heilen, es war unglaublich. Na ja. Hier waren wir, im Rigaer Ghetto, nein, in Riga-Kaiserwald und versuchten das Leben zu leben, wie es kam, in jeder Minute, man wusste nicht, was die nächste Minute bringen würde. Von da brachten sie wieder Leute zum Arbeiten und Leute verschwanden und sie nannten das "Auswärtskasernierung". Einige Leute arbeiteten an einer bestimmten Stelle, als sie noch im Ghetto waren. Man nannte sie das RBR, das war für die Wehrmacht, wo sie Militärkleidung sortierten und für die Front fertig machten und so weiter, das war die wunderbarste Arbeitsstelle. Diese besondere Stelle war in der Lage, zu erreichen, dass die ganze Gruppe, während sie in Kaiserwald war, bei ihnen im Hauptquartier bleiben durfte, wo sie ihnen Bereiche bereitstellten, wo sie essen, schlafen und arbeiten konnten, denn sie dachten, das sei besser und billiger für sie.

Ich hatte Glück, ich hatte einen Freund, einen jungen Mann aus meiner Heimatstadt, der auf gutem Fuß mit einem Mann stand, der auch aus meiner Heimatstadt kam, der Automechaniker war, und die SS brauchte gute Automechaniker und nur eine Handvoll Leute durften auf diese Arbeitsstelle. Man sagte, es wäre die Elitearbeitsstelle, wo die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter noch einigermaßen normal waren. Sie versorgten sie mit Nahrungsmitteln, denn sie hatten ein paar Leute in der Küche, Frauen, die da kochten, so dass sie genug Kraft hatten, die Lastwagen zu reparieren und alles, was repariert werden und zur Front gehen sollte. Und durch diesen jungen Mann konnte er mir einen Job geben.

Ich war ungelernt, ich war ein junges Mädchen. Ich sagte ihnen, ich hätte Büroerfahrungen, was ich überhaupt nicht hatte. Ich konnte kaum Schreibmaschine und sie gaben mir die Stelle im Büro. Aber man musste so vorsichtig wie möglich sein und durfte nicht zu viel mit dem Jungen, äh mit dem Mann gesehen werden und ich meine, jede Minute musstest du aufpassen, musstest du Acht geben, was du gemacht hast, was du sagtest, wie du dich verhieltst. Der Mann, der verantwortlich war, - ich habe seinen Rang vergessen, er war ein hochrangiger SS-Mann, der sein Büro hatte, da war eine Glaswand direkt in der Nähe von meinem Stuhl, ganz egal, wie streng er war, jedes Mal, wenn er kam, erschauderten die Leute, ab und zu warf er mir das halbe Butterbrot zu, das er übrig hatte, und sagte: "Hier Kleine, Judenkleine", pflegte er mich zu nennen, "hier, das ist für dich!", wobei er kaum seinen Satz beendete, so dass es keinem auffiel, wenn ich es nahm und er es mir gab. Mit diesen Dingen von außen konnte ich mich wieder am Leben halten, ich brauchte mir keine Sorgen mehr um meine Mutter zu machen, dass ich etwas zu essen nach Hause bringe, ich war allein.

Niemand wusste, was die nächste Minute bringen würde. Sie hatten den Frauen noch im Rigaer Ghetto die Haare abrasiert, aber in diesem besonderen Kommando, in dem ich arbeitete, - wie ich sagte, es war das Elitekommando - rührten sie sie nicht an. Es war eine Handvoll Frauen und wir konnten unsere Haare behalten. Natürlich guckten uns die anderen Frauen eifersüchtig an.

Stutthof

Also wir arbeiteten da, bis eines Tages Riga-Kaiserwald liquidiert wurde. Sie steckten uns auf ein Boot unter Bedingungen, die ich nicht beschreiben kann. Wir waren wie Sardinen in einem einzigen großen Raum gepfercht und Leute mussten ihre Notdurft verrichten, waren krank. Die Ostsee war sehr rau, es war Chaos, einfach Chaos. Wie viele Leute starben einfach so! Und schließlich nahmen sie uns vom Boot und brachten uns auf Barkassen, und das Einzige, woran ich mich erinnere, sind enge Flüsse und wir saßen auf diesen Barkassen, ich weiß nicht wie viele Stunden lang, und sie schickten uns zu einem Ort, Stutthof.

"Stutthof", sagten uns sogleich einige Leute, die wir getroffen haben: "Passt auf, das hier ist ein Vernichtungslager!" Wir sahen jede Nacht den Rauch aufsteigen und da war kein Arbeitslager. Im Rigaer Ghetto konnten wir nach draußen gehen und in Riga-Kaiserwald hatten wir Kontakt zu den Leuten von draußen und arbeiteten. In Stutthof: Vergiss es! Es war ein Vernichtungslager und niemand durfte raus.

Wir wurden wieder zusammen gedrängt und wurden von der SS und von den Gefangenen begrüßt, die Kriminelle waren, viele von ihnen waren polnische Frauen, und sie waren einfach unglaublich. Sie waren keine Juden und behandelten uns wie Tiere. Wir drängten uns in einer Baracke, und es waren vier Leute in einem, nein, ich meine zwei oben und zwei unten. Am Anfang waren es vier und dann konnten sie es organisieren und dann waren es zwei und zwei. Die Bedingungen dort waren unglaublich. Ständig Appell, Appell, morgens, mittags und nachts und zählen, zählen, zählen, zählen. Und die Leute direkt neben einem fielen wie die Fliegen um. Und irgendwie, man war jung, sah von dem Fenster aus nach drüben zum Männerlager. Und da stand ein Mann die ganze Zeit und er sprach mit mir. Er war ein politischer Gefangener, aus Liepaja glaube ich, auch aus Lettland. Und da er ein politischer Gefangener und kein Jude war, muss er schon eine ganze Zeit da gewesen sein, und auch er war ein Insider und es gelang ihm, eine der Frauen, die uns wie Tiere behandelten, aufzufordern, mir Brot in seinem Auftrag zu geben. Ich war in großen Schrecken versetzt dadurch, weil ich Angst hatte, dass ich auffallen würde, und dass ich darunter leiden würde, von ihr an einen SS-Mann denunziert werden würde: "Sieh mal, sie bekommt etwas von der anderen Seite" Sie würden mich erschießen und das wäre es. Aber so war es nicht.

Er muss sie sehr gut gekannt haben. Es gab immer Insider in den Lagern, Leute, die es hatten und Leute, die es nicht hatten. Und es gelang mir. Sie wiesen mich einem Bereich zu, der ziemlich schrecklich war und den ich vier Mal am Tag schrubben musste. Das bedeutete, dass man doppelte Portion bekam. Es war ein ziemlich großer Bereich, der musste auf allen Vieren geschrubbt werden und sobald man fertig war, musste man wieder von vorne anfangen. Aber das gab mir das Recht auf zwei Stücke Brot und ein bisschen mehr Suppe. Und so war ich wieder jemand, der ein bisschen geschützter war als die anderen. Es war schrecklich, die Bedingungen waren einfach unglaublich. Die Leute starben wie die Fliegen am Typhus.

Und so weit konnte ich dem entfliehen. Jede Nacht entlausten wir uns. Es war unausweichlich, sie waren in unserer Kleidung, in unseren Sachen, wohl gemerkt, der Typhus kam von den Läusen. Und wir versuchten dem zu entkommen, nicht infiziert zu werden, so weit wie es möglich war.Und ich wurde bis kurz vor Schluss überhaupt nicht krank. Dann stellten sie einen riesigen Transport zusammen, und die meisten davon waren die Elite. Wir hatten eine Elite in den Lagern, Leute, die mehr hatten, weil sie Leute kannten. Und verstehen sie, es war ein Marsch nach Magdeburg. Ich hatte eine Freundin, die aus Vilna kam; ich war sehr jung, und sie war ein bisschen älter, und sie beschützte mich sehr. Und man sagte ihr, dass sie zu diesem Ort, nach Magdeburg, dass sie auf einen Marsch nach Magdeburg gingen.

Inzwischen wurde ich bettlägerig mit so hohem Fieber, dass ich keine fünfzig Meter geschafft hätte, weil ich schon ausbrannte. Und sie kam zu mir herüber und sie sagte, "Sieh mal, ich habe es für dich arrangiert, dass du ins Revier gehst. Du kannst nicht mit uns mitkommen. Es wird dir gut gehen." Und ich warf ihr vor, sie würde mich in die Gaskammer stecken, denn aus dem Revier kam man nicht mehr heraus. Das war definitiv dein nächster Schritt in Richtung Gaskammer. Sie versprach mir: "Nein, geh dahin". Nach einer Weile konnte ich nicht mehr, ich war schwach durch das hohe Fieber. Und wie sie mich da hin gekriegt haben, habe ich keine Ahnung. Offensichtlich war ich tagelang im Fieberwahn. Kein Essen, keine Medikamente. Und ich erinnere mich, dass die Person, die über mir lag, auch im gleichen Zustand war, und es kam herunter, sie machte, wissen Sie. Als ich zu mir kam, konnte ich meine Schuhe nicht finden, die unter meinem Genick versteckt waren, konnte meine Kleidung nicht finden, nichts. Es war bitterkalt, und was machst du da? Du hast keine Schuhe, du hast nichts, wenn sie das sehen, bist du sofort Kandidat für die Gaskammer!

In diesem Raum waren auf der anderen Seite, im oberen Teil, auf einer Pritsche drei Mädchen. Ich meine, man hatte sie aus Auschwitz hierhin geschickt. Irgendwie versuchten wir miteinander zu reden. Eine war aus Berlin, und zwei waren aus Polen. Und als wir zu uns kamen, das hohe Fieber zurückging, und wir in der Lage waren, ich meine, normal zu sein, nicht mehr im Wahn, waren wir in der Lage, zu kommunizieren und zu sprechen. Wie lange ich dort war, habe ich absolut keine Ahnung, weil ich mich noch nicht einmal daran erinnere, wie ich dort hinkam. In Kaiserwald gab es inzwischen nur noch sehr, sehr wenig Leute, denn die russische Front kam näher und näher und näher. Je näher die Front kam, nahmen die Deutschen die Juden und gingen anderswohin. Es müssen dort Bomben gefallen sein, denn es gab kein Wasser mehr; ich erinnere mich, wie ich Wasser getrunken habe, es war so bitter wie Galle.

Und wer auch zu diesem Zeitpunkt da übriggeblieben war, die schickten sie an einen anderen Ort, in der Nähe von Stutthof. Stutthof war bei Danzig. Wieder, die SS, was auch immer da übrig war, wenige Leute waren übriggeblieben, wurden in Züge gedrängt, in Viehwaggons, Viehzüge, und wegen dieses hohen Fiebers konnte ich noch nicht einmal meinen Fuß so viel anheben, dass, wenn eine Stufe ein bisschen höher war, ich nicht in der Lage war, da raufzukommen. Und hier wurde man in diese Viehwaggons gezwängt, und es ist ziemlich hoch, da rauf zu kommen. Die SS hinter einem, wie kommt man da rauf? Ich habe keine Kraft, ich konnte nicht. Nun, diese drei Mädchen waren bereits in besserer, sozusagen gesünderer Verfassung, und sie waren da oben und sie zogen mich von überall, und eine von hinten, um mich da rauf zu schieben, so dass ich es schaffte, da hinein zu kommen, weil ich Angst hatte, man würde mir sofort in den Rücken schießen.

Trojmiasto (Dreistadt)

Irgendwie war die SS schon ein bisschen netter, weil die russische Front so nah kam, dass sie ahnten, dass ihre Tage auch schon gezählt waren. Und sie schickten uns mit diesem Zug an einen Ort namens Trojmiasto (Dreistadt) bei Danzig. Wieder waren wir da zusammengedrängt, und als wir da hinkamen, sahen wir einige politische Gefangene, eine Menge Jungen, aus Warschau, es waren Studenten, sie waren in diesem Arbeitslager, dies war kein Konzentrationslager mehr, sie nannten es Arbeitslager. Und sie wussten nicht, was sie für uns tun konnten. Sie brachten uns Suppe und Essen, weil sie schon sozusagen gut situiert waren, und sie hatten die Möglichkeiten, es gab nicht so viele Leute, und die Restriktionen waren nicht so rigide wie in den Lagern. Wir waren eine Weile da, und wieder bombardierten die Russen, versuchten die Deutschen wieder, zu liquidieren. Eines Tages traf ich einen jungen Mann, einen Deutschen, kein Jude, er stand dem Kommandanten ziemlich nahe, was immer er war, nicht Kommandant, der Lagerälteste von diesem Arbeitslager, und er hatte auch einen Stein im Brett bei der SS.

Wir sprachen dann und wann miteinander, weil die Regeln nicht so streng waren. Und er fragte mich: "Hast du Läuse? Hast du dies?" und ich sagte: "Nein" und so weiter. Aber es war gemächlicher, die Atmosphäre dort. Er sagte zu mir, nach einigen Wochen: "Hör mal zu. Die Deutschen verlassen das Lager, sie nehmen jeden mit sich" Ich hatte diese drei Mädchen, die ich im Revier getroffen hatte, im Lazarett, wir hatten uns angefreundet und wir hingen aneinander, wir waren, wurden Freundinnen. Und wir schwelgten in Erinnerungen und fragten uns gleichzeitig, ob wir überleben werden, ob wir jemals aus diesem Chaos heraus kommen werden, bis zu dem Punkt, wo wir sogar sagten: "Ich glaube nicht, dass wir uns überhaupt noch wie menschliche Wesen verhalten könnten." Wenn wir da herauskämen, hätten wir wieder Tischmanieren? Wüssten wir wie man eine Gabel und ein Messer hält? Solche Sachen. Das waren einfach so Gespräche, wissen Sie. Niemand glaubte daran, dass wir das überleben würden. Weil von all den Leuten, die wir gekannt hatten, sehr, sehr wenige überlebt hatten. Es war schieres Glück, dass es mir gelang, Extradinge hier und da zu treffen und zu bekommen.

Nun, um auf diesen jungen Mann zurückzukommen, er warnte mich, er sagte: "Heute Nacht ist es so weit. Sie verschwinden. Sie nehmen jeden mit. Sie müssen fliehen, weil die Russen in der Nähe sind". Denn die Katjuschas flogen, man konnte die Bomben hören. Jedes Mal, wenn es "Ssssssss!" machte, wusste man, dass es an einem vorbeigegangen war und dass man in Sicherheit war. So flogen sie direkt über dir, die Baracken stürzten ein, Feuer, man konnte die flackernden Brände am Himmel sehen, es sah aus wie Tageslicht, ein schöner Anblick, aber sehr furchteinflößend. Und er sagte: "Versuch dich zu verstecken". Ich sagte meinen drei Freundinnen: "Bitte, wir müssen uns verstecken". Sie treiben alles zusammen, was hier geblieben ist, und sie schaffen uns auf ein Boot." Wieder auf ein Boot. Sie flüchteten, aber würden die Juden nicht gebrauchen können. Nun, die SS kam mit Knüppeln und trieben alle zusammen: "Raus! Raus! Raus! Raus!" Und wir versteckten uns. Und wir hatten Erfolg. Denn sie hatten keine Zeit, sie hatten auch nur begrenzte Zeit, um zu verschwinden. Es war still. Es war, ich kann nicht mal damit anfangen, es Ihnen zu erzählen, was für ein Gefühl das war! Es war so still. Die Bomben fielen nicht mehr, es war Unglaublich!

Andreas Jordan, August 2006

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