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Der Umgang mit den Tätern fällt schwer
Deutsches Riga-Komitee diskutiert beim 5. Symposium in Berlin und besucht Orte der Erinnerung
"Berlin – Ort der Täter. Vom schwierigen Umgang mit der eigenen Geschichte." Unter diesem Titel trafen sich 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum 5. Symposium des Deutschen Riga-Komitee.
Berlin - ein Ort der Täter. Das griff auch Dr. Klaus Lederer, Senator für Kultur und Europa in Berlin, in seiner Begrüßung auf: „Berlin war der Sitz des NS-Terrorregimes.“ In seiner „Erwiderung“ entgegnete Wolfgang Wieland, Vizepräsident des Volksbundes: „Das Riga-Komitee ist an den Ort seiner Gründung zurückgekehrt. Und es hat sich in diesen 20 Jahren entwickelt. Es ist kein Honoratiorenverein, sondern ein Städtebündnis.“
Wolfgang Wieland erinnerte daran, dass es damals in Berlin – 40 Jahre nach Ende des NS-Regimes – kaum Plätze der Erinnerung an diese Zeit und ihre Gräuel gab. Erst die städtische Zivilgesellschaft gab Anstöße dazu. „Dieser Weg wird weitergeführt“ versprach er.
Berlin ist die Stadt, in der das Unheil geplant und befohlen wurde
Der Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz von der TU Berlin stellte zu Beginn seines Impulsvortrages fest, dass die Frage: „Was kann Gedenken heute leisten?“ schon falsch gestellt sei. „Was muss Gedenken heute leisten?“ wäre die richtige Frage. Die Stadt Berlin ist reich an Orten der Erinnerung. „Doch diese Stätten müssen mehr sein als schaurige Orte“, so Benz, „es müssen Orte sein, an denen durch Anblick und Erfahrung etwas gelernt wird!“
Die junge Generation wolle wissen, was sie damit zu tun habe. Viele Gedenkstätten seien bestimmten Opfergruppen gewidmet, aber nicht alle seien berücksichtigt. So sei beispielsweise über die Opfergruppe der damals sogenannten "Asozialen" wenig bekannt. Dies waren Menschen, deren Lebenswandel der Umgebung vielleicht nicht gefiel, die nicht dem Wertesystem und den gesellschaftlichen Vorstellungen des NS-Regimes entsprachen. Sie wurden häufig zuerst diskriminiert, dann ausgegrenzt, dann inhaftiert. Und aus der befristeten Vorbeugehaft wurde schnell eine dauerhafte.
Benz empfahl ein europäisches Geschichtszentrum als Ort des Lernens und Gedenkens an alle Opfergruppen. Um Geschichte erfahrbar zu machen, empfahl er die Arbeit mit Biographien.
Doch wie sollen die Biographien der Täter aufbereitet werden? Täterbiographien seien nötig, doch sie sollten nicht unbedingt Mitgefühl oder Nachvollziehbarkeit der Taten erwirken.
Ein Ort der Zivilcourage – die Rosenstraße
Den mutigen Frauen der „Rosenstraße“ hatte die Filmemacherin Margarethe von Trotta 2003 ein nicht unumstrittenes, aber immerhin preisgekröntes filmisches Denkmal gesetzt. Es zeigte, dass auch im NS-Regime in kleinem Maße Zivilcourage möglich war. Bei der drittgrößten antijüdischen Aktion gegen „Mischehen“ und „Mischlinge“ am 27. Februar 1943 waren 7.000 jüdische Menschen, meist Männer, verhaftet und in fünf Sammellager gebracht worden.
Zumeist die „arischen“ Ehefrauen und manchmal auch die Kinder versammelten sich vor dem Haus in der Rosenstraße und wollten wissen, wo ihre Männer, wo ihre Familienmitglieder seien, die teilweise direkt von ihren Arbeitsplätzen weg verhaftet worden waren. Deshalb wurde diese Großrazzia auch als „Fabrikaktion“ bezeichnet. Marie Rolshoven, Mitbegründerin der Berliner Gedenk-Initiative „Denk Mal Vor Ort“, erklärte die historischen Hintergründe und las aus den Erinnerungen von Ruth Gross vor, die zehn Jahre alt war, als ihr Vater, der Fotograf Siegfried Cohn, in der Osram-Fabrik verhaftet wurde. www.denkmalamort.de
Wo es Mord gibt, gibt es Mörder
Am Abend begrüßte Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. „Die Opfer dürfen nicht vergessen werden“, so Schneiderhan – aber die Täter auch nicht. "Die Taten wurden nicht im deutschen Namen verübt, sondern von Deutschen. Und wo es Mord gibt, gibt es auch Mörder“. Mit dem Motto des Volksbundes mahnte er: „Wir müssen erinnern – für die Zukunft!“
Prof. Dr. Dieter Pohl von der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt wies in seinem Vortrag „Die Verbindung nach Osteuropa: Deutsche Verbrechen und deutsche Juden im östlichen Europa zwischen Geschichte und Erinnerung“ auch auf die ökonomischen Interessen der Nationalsozialisten bei der Deportation und Ermordung der europäischen Juden hin. Man hätte auch ihren Besitz, ihre Häuser, Wohnungen haben wollen.
Hitler fand bei der Verfolgung in Ost- und Südosteuropa durchaus Verbündete. In das breitere deutsche Bewusstsein wurde die Verfolgung der europäischen Juden 1978 durch die amerikanische Serie „Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiß“ von Marvin Chomsky gebracht. Sie stieß eine gesellschaftliche Diskussion über die deutsche Vergangenheit an.
Die deutsche Erinnerungsarbeit muss bedingungslos sein
Auf dem Podium diskutierten unter der Moderation von Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal, Prof. Dr. Dieter Pohl, Michaela Küchler vom Auswärtigen Amt und Dr. Klaus Lederer zur Rolle der Politik und wie das Gedenken weitergetragen werden kann. Lederer betonte, dass die Politik nicht für Gesamtgesellschaft stehen könne. Sie könne aber den Boden bereiten.
Michaela Küchler legte Wert auf ein Zusammenspiel vom Emotion, aber auch Fakten. Junge Menschen könnten sich gut in die Opfer hineinfühlen. Doch gleichzeitig sind die Fakten wichtig, damit sie nicht in Frage gestellt werden könnten. Klaus Lederer formulierte das Schlusswort als Auftrag: “Die deutsche Erinnerungsarbeit muss bedingungslos sein!“
Im Haus der Wannsee-Konferenz
Am nächsten Tag besuchten die Teilnehmenden die neue Ausstellung in der Gedenkstätte im Haus der Wannsee-Konferenz. Die schöne Villa konterkariert das Grauen, das dort beschlossen wurde: die Deportation und die Ermordung der europäischen Juden noch während des Zweiten Weltkrieges. In der Konferenz, die von den Teilnehmern nie so genannt, sondern als Besprechung beschrieben wurde, wurde die Logistik geplant, die Umsetzung und die Zuständigkeiten für die einzelnen Maßnahmen der massenhaften Ermordungen besprochen. Sie dauerte nur eineinhalb Stunden und wurde von Adolf Eichmanns Sekretärin mitstenografiert und von ihm anschließend in ein Protokoll zusammengefasst. Die Worte Deportation und Ermordung tauchten nicht auf, Tarnbegriffe wurden genutzt.
In der Diskussion tauchte die Frage auf: Wie konnte die massenhafte Ermordung geheim gehalten werden? Sicher bemühte sich das Regime um Geheimhaltung, aber: Die Zivilgesellschaft war nicht unbedingt sehr interessiert. Beteiligung ist nicht nur Täterschaft, sondern auch Mitwisserschaft. www.ghwk.de
"Gleis 17" weitere Station der Erinnerung
Das Mahnmal "Gleis 17" am S-Bahnhof Grunewald ist ein weiterer Gedenkort, der auch in Berlin nicht sehr bekannt ist. Von hier aus wurden jüdische Berlinerinnen und Berliner nach Riga, nach Theresienstadt, zu weiteren Orten und von dort in Vernichtungslager deportiert.
Die letzte Exkursion führt zur "Topografie des Terrors". Lange Jahre war dieser Ort ein Autodrom und Sitz einer Bauschuttverwertung, erst Anfang der 1990er Jahre wurde er Gedenkort. Doch es gibt dort keinen zentralen Platz, um Blumen niederzulegen und der Opfer zu gedenken. „Das ist ein Ort der Täter“, erklärte Dr. Andrea Riedle, Direktorin der Stiftung. "Dieser Ort eignet sich nicht zum Gedenken an die Opfer. Die sind nicht hier, die sind in Riga, in Minsk, in Polen. Berlin ist die Stadt, von der die Ermordung der europäischen Juden ausging. Und mit Tätern tut man sich schwer."