Marburg (Beitritt 04.09.2012)
Marburg (Beitritt 04.09.2012)
Die Stadt Marburg trat am Dienstag, dem 4. September 2012, offiziell als 41. Mitgliedsstadt dem Deutschen Riga-Komitee bei.
Ich begrüße die Entscheidung der Stadt Lingen sehr, dem Riga-Komitee beizutreten und heiße sie herzlich willkommen. Gemeinsam mit vielen anderen setzen wir damit gemeinsam ein beeindruckendes und fortwährendes Zeichen für das Gedenken an die deportierten und ermordeten Menschen aus unseren Städten und sorgen dafür, dass sie nicht aus der Erinnerung verschwinden, sondern ihre Spuren als Mahnung bewahrt bleiben.
Die Universitätsstadt Marburg selbst ist 2012 dem Riga-Komitee beigetreten.
Uns war und ist es immer wichtig, dass Gedenken auch nach so vielen Jahren keine Routine wird, sondern immer wieder neu und für die nachfolgenden Generationen bewusst erfolgt und die Erinnerung wach bleibt. Gerade in der heutigen Zeit, in der Unsägliches wieder öffentlich geäußert wird, Hass und Hetze verbreitet und menschenverachtende Taten wieder begangen werden, zeigt sich umso mehr, wie nötig die Auseinandersetzung und das Lernen aus der Geschichte sind. Sich einzusetzen für Humanität und Toleranz ist wichtiger denn je geworden.
Am 8. Dezember 1941 wurden bei der ersten von vier Deportationen von Marburg aus 127 jüdische Bürgerinnen und Bürger zunächst in das Sammellager nach Kassel und von dort am nächsten Tag in das Ghetto nach Riga deportiert. Das jüngste Kind ein Jahr alt, der Älteste 76 Jahre.
Gedenken muss konkret erfahrbar sein, nicht nur abstrakt vollzogen werden. Neben den vielen Stolpersteinen – Steinen gegen das Vergessen, verlegt von Gunter Demnig, vor Häusern, in denen unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger wohnten, haben wir in Marburg als zentralen Erinnerungsort für die jüdischen Opfer den „Garten des Gedenkens“ 2012 eingeweiht. Gelegen mitten in unserer Stadt, an der belebten Universitätsstraße, auf dem Gelände der vom Ende des 19. Jahrhunderts stammenden und 1938 zerstörten Synagoge. Nach archäologischen Ausgrabungen entstand auf dem Grundriss der alten Synagoge ein Ort zugleich des würdigen Gedenkens, aber auch ein Ort zum Verweilen, begehbar, mit einer auffallenden und üppig blühenden Rosenbepflanzung. (https://garten-des-gedenkens.de)
Es gibt im Boden ein Sichtfenster in die ehemalige Mikwe sowie in den Rasen eingelegt eine Kunstinstallation, bestehend aus zehn „Zettelkästen“, die verschiedene Zitate zur Zeitgeschichte beinhalten, welche regelmäßig ausgetauscht werden und damit zur Auseinandersetzung mit den historischen Geschehnissen anregen. Ein bronzenes Tastmodell der alten Synagoge, sowie ein Informationstext an der nahegelegenen Bushaltestelle erläutern Funktion und Geschichte dieses Ortes.
Ein Ort also für ein lebendiges Erinnern, eingebunden und umgeben von Alltag. Die Besinnungsstunde zum 9. November findet an diesem Ort jährlich unter großer Anteilnahme statt.
Eine weitere Installation erinnert ebenfalls sehr konkret am Marburger Hauptbahnhof an die Deportationen. Von dessen Gleis 5 wurden vom Dezember 1941 bis März 1943 in vier Deportationen insgesamt 346 Menschen in die nationalsozialistischen Konzentrationslager transportiert. Die meisten wurden dort umgebracht. Neben dem Transport nach Riga folgten drei weitere nach Lublin, Theresienstadt und Auschwitz, mit dem letzten wurden auch Sinti deportiert.
Nach dem Beschluss der Marburger Stadtverordnetenversammlung, eine Gedenktafel zu diesen Deportationen am Bahnhof anzubringen, entstand zusammen mit der Marburger Geschichtswerkstatt, der Marburger Jüdischen Gemeinde und dem Verband deutscher Sinti und Roma - Landesverband Hessen das Konzept von vier Gedenkbändern, die zum Gedenktag der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 2015 an den Treppenaufgängen zu den Gleisen 5 und 8 angebracht wurden. Auf diesen Bändern sind Namen und Alter aller Deportierten, Datum und Zielort der vier Deportationen genannt. (https://www.geschichtswerkstatt-marburg.de/projekte/gedenkbaender.php). Täglich gehen hier also die Bahnreisenden vorbei und können die Namen der Opfer lesen.
Zum 75. Jahrestag entstand ein Gedenkbuch „Von der Ausgrenzung zur Deportation“, das von der Geschichtswerkstatt Marburg erarbeitet wurde und welches die Stadt Marburg zusammen mit dem Landkreis Marburg-Biedenkopf veröffentlicht hat. In dem über 540 Seiten starken Buch sind die persönlichen Schicksale der Opfer des Holocaust nachgezeichnet worden und damit für die Nachwelt festgehalten.
Als einer der letzten Überlebenden des Holocaust bereiste Ivar Buterfas-Frankenthal im letzten Jahr Deutschland und erzählt als Zeitzeuge seine Lebensgeschichte. Wir sind sehr dankbar dafür, ihm auf seiner letzten Vortragsreise in Marburg zuhören zu dürfen.
Wenn die Zeitzeugen irgendwann nicht mehr da sind, ist es umso wichtiger, dass viele andere Menschen die Erinnerung wachhalten und das Gedenken im Stadtbild präsent ist.
Es ist daher gut zu wissen und ein ermutigendes Zeichen für die Zukunft, dass wir gemeinsam mit zahlreichen anderen Städten des Riga-Komitees dieses Erinnern aufrechterhalten, wir die Toten nicht vergessen und ihnen in unseren Städten ein würdiges Gedenken geben.
Oberbürgermeister der Universitätsstadt Marburg
Ansprechpartner
der Universitätsstadt Marburg für das Riga-Komitee ist
Herr Michael Müller
Magistrat der Universitätsstadt Marburg
Markt 1
35037 Marburg
Tel.: + 49 (0)6421 / 201 2281
Email: Michael.Mueller2@marburg-stadt.de