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Die Malerin Alice Haarburger

Die Malerin Alice Haarburger

„In Alice Haarburger ist der Drang nach Schönheit und Harmonie lebendig“[1] Als die Werke der Malerin 1934 derart gelobt wurden, durfte sie wegen der Ausgrenzung der jüdischen Künstler durch die Nationalsozialisten längst nur noch in jüdischen Einrichtungen ausstellen, vor allem an den Ausstellungen der von Karl Adler eingerichteten “Stuttgarter jüdischen Kultur-Gemeinschaft”. Die schrittweise Isolation der jüdischen Bevölkerung mündete schließlich in deren Deportation und Ermordung, ein Schicksal, dem auch die Künstlerin zum Opfer fiel. Die in der Weimarer Republik zumindest in der Region Stuttgart bekannte Künstlerin geriet als Folge der Verfolgungsmaßnahmen schnell in Vergessenheit. 

 


[1] Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs Nr. 9, Jahrgang 1934/35 vom 
1. August 1934, S. 5

Werdegang von Alice Haarburger

Alice Haarburger wurde am 16.11.1891 in Reutlingen geboren. Ihr Vater Friedrich Haarburger war ein wohlhabender Fabrikant. Die Familie zog 1903 in das Haus Danneckerstr. 36 nach Stuttgart, um den drei Kindern Alice, Karl und Ernst dort eine bessere Schul- und Berufsausbildung zu ermöglichen. Alice Haarburger besuchte zunächst ein Stuttgarter Mädchengymnasium und anschließend Internate in Genf, Lausanne und London. Ab 1910 nahm sie Unterricht an der privaten Malschule für Damen von Alfred Schmidt in Stuttgart, weil der Besuch von Kunsthochschulen für Frauen noch verboten war. Ab 1917 studierte sie an der Akademie der bildenden Künste Stuttgart bei deren Direktor Arnold Waldschmidt. 1920 folgte dann der Besuch der Debschitz-Schule für angewandte Kunst in München. Ab 1920, das Jahr, in dem ihr Vater starb, war Alice Haarburger Mitglied im “Württembergischen Malerinnenverein” in Stuttgart, bei dem sie von 1932 bis zu ihrem durch die politischen Verhältnisse erzwungenen Rücktritt 1933 erste Schriftführerin war. Dass sie auch davor schon aktives Mitglied des Vereins war, zeigt ein Pressebericht aus dem Jahr 1929: Sie spielte in einer Aufführung während des Gesellschaftsabends der Malerinnenvereins mit, dessen Erlös dem Malerinnenerholungsheims in Arnhausen im Lautertal zugutekam[1]. Auch als Ansprechpartnerin für Veranstaltungen war sie unter ihrer Adresse für den Verein tätig. Außerdem ist ein Vortrag zum Thema „“Die Beziehungen des Württembergischen Malerinnenvereins zu ihren Spitzenorganisationen“ ist belegt[2]. Teile ihrer Werke befinden sich bis heute im Besitz des Bundes Bildender Künstlerinnen Württemberg e. V., der Nachfolgeorganisation des „Württembergischen Malerinnenvereins“.

 


[1] Stuttgarter neues Tagblatt: südwestdeutsche Handels- und Wirtschafts-Zeitung vom 
13. Dezember 1929, S. 11

[2] Schwäbischer Merkur: mit Schwäbischer Kronik und Handelszeitung vom 27. Februar 1932, S. 8

Künstlerisches Werk und Isolation

Ab 1921 beteiligte sie sich mehrfach an Ausstellungen in Stuttgart, insbesondere auch im Württembergischen Kunstverein. Die Titel ihrer ausgestellten Werke wurden regelmäßig in den Berichten der lokalen Presse genannt. Daraus lassen sich die Themen der Bilder der Malerin entnehmen: Ihre Sujets beziehen sich auf Landschaften und Stadtansichten wie auch Stillleben und Porträts. Ihr Stil orientierte sich am deutschen Impressionismus sowie Realismus. Das Oeuvre Alice Haarburgers wird auf 150 Werke geschätzt. Der Einfluss von Paul Cézanne ist ebenso zu vernehmen wie expressionistische Tendenzen. Ihr Farbspektrum ist, wie ihr Blick, zu- rückhaltend, jedoch sehr bedacht[1].

Als selbstständige Künstlerin vertritt sie den Typus der „neuen Frau“, die in der Weimarer Republik in bisherige Männerdomänen vordrangen. Ihre Herkunft aus einem emanzipierten jüdischen und wohlhabenden Elternhaus erlaubte es ihr, eine gründliche künstlerische Ausbildung zu einer Zeit zu genießen, als es für Frauen noch mit erheblichen Problemen verbunden war, Kunst zu studieren. 

Die fortschreitende Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung führte 1938 im Rahmen der Arisierung jüdischen Eigentums zum Zwangsverkauf des Elternhauses in der Danneckerstraße unter Wert. Dank der Tatsache, dass neben Alice Haarburger auch der “halbjüdische” Neffe Friedrich und die Nichte Hanna Haarburger Miterben waren, konnte mit dem Verkaufserlös das kleinere, Haus in der Sandbergerstraße 26 erworben werden. Dort wohnte sie 1938-1941 mit mehreren Familienmitgliedern und Freunden, wobei das Haus vollkommen überbelegt war. Zudem hatte sie mit dem Verkauf ihr Atelier im Elternhaus in der Danneckerstraße verloren. 

 


[1] Auszug aus der Werkbesprechung der historischen Museen Reutlingen, November 2024

Deportation und Nachlass der Künstlerin

1940 erhielt sie ein Visum für Basel, das sie aber nicht nutzt. Sie wiegt sich in Sicherheit, weil ihre beiden verstorbenen Brüder im Ersten Weltkrieg gedient hatten und will sich weiterhin um ihre Mutter kümmern. Am 1.12.1941 wird Alice Haarburger mit der ersten Stuttgarter Deportation vom Sammellager auf dem Stuttgarter Killesberg nach Riga verbracht und dort am 26.3.1942 bei einer Massenerschießung umgebracht.

Vor ihrem letzten Wohnhaus in der Sandbergerstraße 26, Stuttgart-Ost wurde zu ihrem Gedenken ein Stolperstein verlegt.

Werke der Künstlerin sind im Besitz des Stadtarchivs Stuttgart, der Städtischen Galerie Böblingen, im Kunstmuseum Reutlingen und des Bundes Bildender Künstlerinnen Württemberg e. V. 

Ich danke dem Städtischen Museum und dem Kunstmuseum Reutlingen für die Abdruckgenehmigung der Werke von Alice Haarburger. 

Uwe Czier