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Gedenk- und Erinnerungsreise nach Riga

Deutsche, lettische und europäische Dimensionen des Vernichtungsgeschehens und der Erinnerungskulturen

Seit dem 16. Jahrhundert wuchs über die folgenden 300 Jahre die jüdische Bevölkerung in den Städten Lettlands kontinuierlich an. 1925 betrug der Anteil der jüdischen Mitbürger an der Stadtgesellschaft Rigas 13 %. Eine eigenständige jüdische Kultur entwickelte sich trotz mancher politischer Benachteiligung. Dies endete abrupt, als Lettland 1940 gegen seinen Willen zur sozialistischen Sowjetrepublik erklärt wurde. Während des Stalinistischen Terrors wurden viele jüdische Intellektuelle in die Gulags deportiert. Als Lettland von der deutschen Wehrmacht erobert wurde, begann die systematische Vernichtung der lettischen Juden. In Riga sollte Platz für die deutschen Juden geschaffen werden, die ab November 1941 hierhin deportiert wurden.

Dem umfassenden Themenkomplex des Erinnerns an das Menschheitsverbrechen der Shoah und insbesondere des Schicksals der lettischen sowie der deutschen Juden in Riga soll mit dieser Studienfahrt nachgegangen werden. Welche Spuren des einst so vielgestaltigen jüdischen Lebens in der Stadt Riga lassen sich heute noch finden? Wie wird an den Mord der lettischen und deutschen Juden erinnert? Gibt es Unterschiede in der Erinnerungskultur, die sich durch nationale Prägungen erklären lassen? Im Fokus dieser Reise soll ein multiperspektivischer Zugang zu den verschiedenen Aspekten des Erinnerns an die Shoah stehen. Darüber hinaus soll die Geschichte Rigas im 20. Jahrhundert beleuchtet und ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart untersucht werden.

Es sollen Diskussionen ermöglicht und verschieden Aspekte im Hinblick auf die Vermittlung des Themas beleuchtet werden. Die Studienfahrt soll inspirieren und dazu motivieren, Jugendlichen die Themen Jüdisches Leben, Shoah und Erinnerungskulturen multiperspektivisch zu vermitteln. Hierzu konnte der erfahrene Historiker und Rigaexperte Matthias M. Ester gewonnen werden.

Es soll aber auch ein Austausch sowohl zwischen Lehrkräften und als auch mit der außer-schulischen Bildungsarbeit gefördert werden. Hierfür ist von großer Wichtigkeit, dass sich die Teilnehmenden im Vorfeld der Reise Gedanken machen, welchen Bezug sie zu dem Themenkomplex haben und wie sie das neugewonnene Wissen zukünftig einsetzen wollen.

Die Studienreise wird vom 13. bis 19. August 2022 stattfinden und erfolgt in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt. 

 

Ein Land voller Massengräber und kaum jemand, der noch einen Kaddisch sagen kann: Auf den Spuren der Shoah in Lettland

Im September 2024 unternahmen Mitarbeitende der Gedenkstätten sowie Mitglieder des Gedenkstättenvereins und MultiplikatorInnen aus dem Osnabrücker Raum und Berlin vom 26. August bis 1. September 2024 eine Reise nach Litauen und Lettland zu Orten der Shoah im Baltikum. Die Reise erfolgte im Rahmen der Ausstellung "Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland", die vom 7. April bis 1. September 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war. Die Autorin war eingeladen worden, an dieser Reise teilzunehmen. Sie stellt uns ihren Bericht für diese Veröffentlichung kostenfrei zur Verfügung.

Am 13. Dezember 1941 wurden 35 Osnabrückerinnen und Osnabrücker gezwungen, in einen Zug zu steigen, der sie in mehrtägiger Fahrt nach Riga in Lettland brachte. Sie selber kannten das Ziel nicht. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen. Fünfzig Kilo an Gepäck waren alles, was sie mitnehmen durften, und auch wurde ihnen bei der Ankunft weggenommen, als sie mit Eisenstangen aus dem Zug in die eisige Kälte von minus 30 bis 40 Grad geprügelt wurden. Kleine Kinder und alle, die den weiten Weg in das Ghetto nicht schafften, wurden gleich ermordet. „Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“ – dieser Satz stammt von Ewald Aul, einem der fünf Osnabrücker Überlebenden dieser Deportation, später langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Osnabrück.

Diese Reise war nicht leicht, manche Eindrücke nur schwer zu verkraften Es war eine Reise auf den Spuren von Massenmorden, die auch emotional belastete, und dennoch eine Reise mit vielen wertvollen Begegnungen mit Menschen, die sich dafür engagieren, die Menschen, die diesen Morden zum Opfer fielen, der Vergessenheit zu entreißen, wo das noch möglich ist, und ihnen dadurch ihre Würde zurückzugeben. Unter diesen Ermordeten, für die niemand das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sprach, sind 30 Osnabrückerinnen und Osnabrücker. Drei davon, die Geschwister Edith, Carl und Ruth-Hanna Stern, waren noch kleine Kinder.

Am 31. Juli 1941 wurde der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, von Reichswirtschaftsminister Hermann Göring mit der Vorbereitung der Endlösung der Judenfrage beauftragt, der systematischen Ermordung aller europäischen Juden. Im Oktober 1941 ordnete Hitler die Deportation der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Reichsgebiet an. Sie wurden in Transporten von je 1.000 Personen in die Ghettos Lodz in Polen, und Minsk in Belarus, Kaunas und Vilnius in Litauen und das lettische Riga gebracht.

In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde der Holocaust über Jahrzehnte verdrängt und tabuisiert. Neue Verbrechen durch das stalinistische Regime überlagerten die Erinnerung an die deutsche Besatzung und die Verfolgung von jüdischen Menschen und anderen Bevölkerungsgruppen. Für die Sowjetunion gab es keine jüdischen Opfer und damit auch keinen Holocaust. Die Ermordeten waren alle Sowjetbürgerinnen und -bürger. Es ging um Heldengedenken, alle Toten galten gleichermaßen als „Opfer des Faschismus“. Die Erinnerung an die massive Beteiligung der einheimischen Bevölkerung an den Morden wird den Litauern und Letten auch heute kaum zugemutet.