Wer war Marianne Dora Rein?
Wer war Marianne Dora Rein?
Marianne Rein war eine junge hoffnungsvolle jüdische Dichterin aus Würzburg, die im November 1941 zusammen mit ihrer Mutter deportiert wurde. Sie war 1911 in Genua geboren, wo der Vater als Kaufmann tätig war. Er verstarb früh nach schwerer Krankheit im Jahre 1917.
Die verwitwete Mutter Hedwig Rein zog dann mit ihrer kleinen Tochter im gleichen Jahr zurück nach Würzburg, woher sie aus der bekannten Familie Schwabacher stammte. Der Vater der Mutter war hier Weinhändler gewesen, hier lebte auch eine weitläufige Verwandtschaft.
Marianne wuchs in Würzburg heran und ging hier in die jüdische Volksschule. Später schreibt sie darüber: “Wir waren Schulkinder (unsere jüdische Volksschule hier ist mein schönstes Kindheitskapitel, herdfeuerwarm!)“.
Wir wissen über Marianne Rein aus drei Quellen:
Zum einen gibt es die Gestapo-Akte über Marianne Rein und ihre Mutter. Zum anderen haben sich in einem Archiv in New York 113 Briefe erhalten, die Marianne Rein an den jüdischen Schriftsteller Jakob Picard zwischen 1938 und 1941 schrieb. Diesem war die Auswanderung in die USA gelungen, persönlich hat ihn Marianne nie kennengelernt.
Schließlich konnte die Verfasserin dieser Zeilen in Haifa eine Jugendfreundin von Marianne Rein ausfindig machen, Ruth Meyer, verheiratete Eltes, und sie 2006 aufsuchen, als diese schon 95 Jahre alt war. Sie war im Besitz einiger Briefe, die sie von Marianne erhalten hatte und von Briefen an Liesel Steinhardt, eine andere Jugendfreundin.
Aus all dem ergibt sich das Bild einer jungen Frau, deren ganzes Interesse der Literatur galt und die selbst literarisch tätig werden wollte und auch schon war. Sie schrieb Gedichte und Prosa und es war ihr bereits gelungen, kleinere Prosaarbeiten und vor allem einige Gedichte in der vom Jüdischen Kulturbund herausgegebenen Zeitschrift „Der Morgen“ zu veröffentlichen. Aus den Briefen an Picard wird deutlich, wie ernsthaft sie sich um literarische Gestaltung bemühte, wobei ihre Gedichte überwiegend der Naturlyrik zuzurechnen sind; Marianne war von Naturerlebnissen stark beeindruckt.
Aus den Briefen an Picard
Aus den Briefen an Picard geht aber auch hervor, wie das Leben in Würzburg durch die Maßnahmen der NS-Machthaber immer mehr eingeschränkt wird. So schreibt sie, dass sie nicht mehr in die Anlagen durfte und wie die Einkaufsmöglichkeiten reglementiert wurden. Schon 1940 wurde in den beiden Zimmern, in denen Mutter und Tochter damals zur Untermiete bei einer Verwandten in der Hindenburgstraße 34 wohnten, von der Gestapo eine Suchaktion vorgenommen, worüber sich in den Gestapoakten ein Protokoll befindet, in dem es u. a. heißt:
„Die Jüdin Rein ist gut bürgerlich eingerichtet und besitzt keine Luxusgegenstände. Sichergestellt und zur Dienststelle verbracht wurden
- 3 Kerzenleuchter (Messing)
- 1 Glocke (Bronze)
- 1 Opernglas (Perlmutter)
- Sichergestellt und in der Wohnung belassen wurde ferner
- 1 Schreibmaschine, Marke „Erika“, Nr. 621409/S
- 1 Nähmaschine, Marke „Singer“, versenkbar. “
Mutter und Tochter bemühten sich um die Auswanderung und mehrmals schien es, als ob dies gelingen könnte, doch schließlich zerschlugen sich alle Hoffnungen.
Ab 1941 musste Marianne im jüdischen Altersheim arbeiten, außerdem mussten die Mutter und sie mehrfach die Wohnung unter immer größeren Beschränkungen wechseln. Am 16. August 1941 schreibt sie aus der Hindenburgstraße:
„Leider werden wir sehr bald aus unserem Zimmer herausmüssen und wir und noch viele andere wissen noch nicht wohin, auch nicht, ob die Mutter und ich zusammen – weil allein – in einem Raum bleiben können.“
Selbstportät
In der Tat mussten sie wenige Tage später die Hindenburgstraße räumen, die meisten Einrichtungsgegenstände wurden von der Gestapo versteigert.
Am 28. September 1941 schreibt sie an Picard:
„Hier ist schönster fränkischer, blau-goldener Herbst, Trakl´scher Herbst.“
Im letzten erhaltenen Brief vom 7. Oktober 1941 schreibt sie, nun aus der Schillerstraße:
„… Ich habe heute freien Tag, ach ich genieße jede Minute; es ist ein wunderbarer Oktobertag – Indian Summer. Sonst viel Arbeit, die mir körperlich und seelisch sehr gut bekommt. Ich habe zugenommen und weiss, dass ich meine Pflicht tue. Ich fühle eine innere Ruhe und Ausgeglichenheit, die mir ganz fremd ist. Natürlich: die Sehnsucht schweigt nie und oft hätte ich das Bedürfnis einige Wochen in ganz anderer Umgebung nur dem leben zu können, was unser eigentlicher Beruf ist. Augenblicklich habe ich kaum Zeit zum Denken, geschweige denn, das wachsen zu lassen –bewusst – was zur Formung drängt. …“
Am 27. November 1941 wird Marianne Rein zusammen mit ihrer Mutter mit dem ersten aus Würzburg abgehenden Transport zusammen mit weiteren 200 Personen, darunter 40 Kindern und Jugendlichen, deportiert. Der Transport ging über Nürnberg nach Riga. Die Deportierten wurden, so eine Überlebende, in den eiskalten Wirtschaftsgebäuden des Jungfernhofes bei Riga untergebracht. Von dort gingen ab Februar 1942 Transporte ab, zuletzt am 26. März 1942 ein Transport mit ca. 1700 Menschen. Alle Abtransportierten wurden am gleichen Tag in einem Wald bei Riga erschossen. Von den im November 1941 aus Franken nach Riga Deportierten haben, soweit bekannt, zwei Personen überlebt.
Aus dem, was über Marianne Rein bekannt ist, entsteht das Bild einer ernsten und doch auch humorvollen, tief empfindenden und zugleich sich selbst gegenüber kritischen jungen Frau, deren dichterisches Schaffen zu großen Hoffnungen berechtigte, der jedoch mit 30 Jahren ihre Zukunft brutal entrissen wurde.
Von ihr geblieben sind einige Fotografien, ihre Briefe mit den darin enthaltenen 87 Gedichten und einigen Zeichnungen, wenige Veröffentlichungen und schließlich ihre Gestapo-Akte.
Gedichte von Marianne Dora Rein
Kindheit
Der Himmel schien noch nicht so hoch,
doch von viel schöneren Blau.
Dahinter wohnte der liebe Gott,
weißbärtig, mit buschiger Brau’.
Die Welt war gross, doch gar nicht fern.
Sie lag vor unserem Schuh.
Die Treppe hinunter, zu Türe hinaus
schon lief sie auf uns zu.
Das Abenteuer versteckt sie sich nicht.
Bund lockte es; aus jedem Stein,
aus Tier, aus Blume, aus Gras und Baum
rief es als und ließ uns ein.
Und Tag und Traum, die Geschwister vertraut,
sie gingen Hand in Hand,
und trugen am Hals die farbige Schnur:
Glasperlen vom Märchenland.
In dunklen Ecken hockte die Nacht.
O, zaub’rische Furcht, dunkles Grau’ n!
Ein Engel flog, und so hell wie Licht,
Und schützte der Kinder Vertrau’n.
Nur manchmal fielen aus Blick und Wort
Gedanken, wie Stein in die Flut.
Da klang es süß auf, da zitterte fort,
was tief, wie in Wellen geruht.
Da quoll es empor, wie Tränen schwer
Und dunkelte lang noch im Blick.
Sank wieder hinab, ihn Vergessen und Schlaf?
doch in uns begann das Geschick.
Der Dulder
Alle Worte haben mich verlassen.
Alle Seufzer werden stumm in meinem Munde.
Ach, ich leide.
Wüssten es die andern, wie ich leide,
weiser würden sie an meinen Schmerzen.
Doch ich schweige.
Mit freundlicher Unterstützung von
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Würzburg und Unterfranken e.V.