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Riga-Komitee: 80 Städte erinnern an Deportation und Ermordung

Lingen (Ems) als jüngstes Mitglied neu dabei – Volksbund initiierte und gründete erinnerungskulturelles Städtebündnis mit

Von Kiel bis Wien sind es mit dem Auto 1.031 Kilometer, von Mönchengladbach bis Berlin 591. So weit liegen die Städte auseinander, die im Riga-Komitee vereint sind – ein europaweit einzigartiger erinnerungskultureller Städtebund. Mit Lingen (Ems) ist ihre Zahl gerade auf 80 gestiegen – Anlass für einen Rückblick von Thomas Rey. Er ist beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. für die Koordinierungsstelle verantwortlich.
 

„Mit dem Beitritt stellt sich die Stadt Lingen (Ems) klar gegen Antisemitismus, gegen das Vergessen und macht sich stark für Toleranz und für Demokratie. Unter den zehntausenden Menschen jüdischen Glaubens, die im Wald von Riga-Bikernieki grausam ermordet wurden, waren auch zahlreiche Jüdinnen und Juden aus Lingen“, sagt Oberbürgermeister Dieter Krone.
 

„Es ist wichtig für unsere Gesellschaft und zukünftige Generationen, dass wir die Erinnerung an die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg präsent halten, daraus lernen und dafür einstehen, dass so etwas nie wieder passiert.“

Dieter Krone, Oberbürgermeister der Stadt Lingen (Ems)

Ermordet im Wald von Bikernieki

Vor mehr als 82 Jahren verband die Städte ein beispiellos grausames Kapitel der Unmenschlichkeit. Im damaligen „Großdeutschen Reich“ begann mit systematischen Deportationen aus vielen Städten Deutschlands die „Endlösung der Judenfrage“. So lautete der Tarnbegriff für den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung Europas. Eines der Ziele war die lettische Hauptstadt Riga, besetzt von deutschen Truppen seit Anfang Juli 1941.

Von November 1941 bis Oktober 1942 wurden an die 30.000 Männer, Frauen und Kinder in 32 Transporten aus dem „Altreich”, aus der „Ostmark" (Österreich) und aus dem „Protektorat Böhmen und Mähren" (der besetzten Tschechoslowakei) in die okkupierten baltischen Staaten verschleppt. Der größte Teil von ihnen gelangte in den Raum Riga.

Nur ungefähr vier Prozent überlebten das Inferno der „Endlösung der Judenfrage". In Riga wurden die meisten der Deportierten im Wald von Bikernieki und in Rumbula ermordet, starben im Ghetto oder in den – zum Teil erst später eingerichteten – Lagern durch Gewalt oder aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen.
 

Erinnerungsarbeit begann spät

Erst Ende der 1980er Jahre begann die Erinnerungsarbeit mit Blick auf das damalige Geschehen in und um Riga – meist initiiert von jüdischen Angehörigen sowie von Historikerinnen und Historikern. Große Verdienste erwarb sich dabei in Deutschland vor allem der spätere Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei (Grüne), der noch zu Zeiten der Sowjetunion erstmals in Riga war.

Auch für den Volksbund wurde es mit Abschluss des deutsch-lettischen Kriegsgräberabkommens, in dem die ermordeten Deportierten als „Kriegstote im Sinne des Abkommens“ aufgenommen wurden, endgültig notwendig, sich mit dieser Deportationsgeschichte zu beschäftigen.
 

13 Städte machten den Anfang

Karl-Wilhelm Lange war damals Volksbund-Präsident – als langjähriger Bürgermeister und Regierungspräsident ein erfahrener Kommunalpolitiker. Er sah hier einen Lösungsansatz, der bestehende Initiativen für ein würdiges Gedenken an das in Riga Geschehene berücksichtigte.

Auf Langes maßgebliches Betreiben hin gründeten am 23. Mai 2000 in Berlin Repräsentantinnen und Repräsentanten von 13 deutschen Großstädten gemeinsam mit ihm im Beisein von Vertretern der Städte Riga und Wien das „Deutsche Riga-Komitee“.
 

Präambel: „Frieden in Europa dienen”

In der Präambel der Gründungsurkunde heißt es, das Komitee und mit ihm die Städte seien „getragen von dem Willen, die Erinnerung an ihre ermordeten Bürgerinnen und Bürger dauerhaft zu bewahren und ihrer zu gedenken, – in der Überzeugung, dass die Gräber- und Gedenkstätte Riga dazu einen bedeutenden, die Heimatstädte umschließenden zeitgeschichtlichen Beitrag leistet, – mit dem Ziel, den auf einer langen gemeinsamen Geschichte ruhenden Beziehungen unserer beiden Länder, ihrer weiteren Entwicklung und dem Frieden in Europa zu dienen.“

Dieser inzwischen auf 80 Städte angewachsene Städtebund fühlt sich in seiner Arbeit auch den mehr als 26.000 lettischen jüdischen Opfern des Rigaer Ghettos verbunden, die am „Rigaer Blutsonntag“ und in der Woche danach in Rumbula ermordet worden waren.

Die folgenden Wegmarken kennzeichnen die Entwicklung des Riga-Komitees.
 

Gräber- und Gedenkstätte Bikernieki

Am 30. November 2001 wurde im Wald von Bikernieki eine würdige Gräber- und Gedenkstätte für die Opfer eingeweiht – am 60. Jahrestag des „Rigaer Blutsonntag“ und 60 Jahre nach Beginn der Deportationen aus Deutschland. Damit war ein erstes in der Gründungsurkunde genanntes Ziel umgesetzt.
 

„Buch der Erinnerung”

Das zweite Ziel wurde 2003 mit diesem Projekt erreicht: „Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden“. Bearbeitet von Wolfgang Scheffler und Diana Schulle, verbindet es die Darstellung des jeweils lokalen Deportationsgeschehens mit der Auflistung der Namen von Deportationsopfern – auch der Überlebenden. In dieser Form war die Publikation ein Novum.

Herausgeber waren der Volksbund, die Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ und die Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“. Heute ist das Buch nur noch im Verlag De Gruyter als Reprint (print on demand) oder eBook oder kombiniert als Print/eBook erhältlich. Fortgeschrieben wurde es nicht.
 

Gedenkzeichen in den Städten

In den Mitgliedskommunen erinnern heute viele größere und kleinere Monumente an die Lebensorte der jüdischen Bürgerinnen und Bürger, an Synagogen und Schulen, aber auch an Deportationsbahnhöfe und Sammellager. In Würzburg etwa ist es der „DenkOrt Deportationen“ am Hauptbahnhof.

Seit 2020 erinnert das Mahnmal aus Gepäckstücken „an alle Deportationen unterfränkischer Jüdinnen und Juden zwischen 1941 und 1944, die fast immer über Würzburg führten. Das Projekt vernetzt die früheren Gemeinden mit jüdischer Bevölkerung“, erklärt Oberbürgermeister Christian Schuchardt.

„Dieser ‚DenkOrt‘ ist wichtiger als je zuvor: im Gedenken an die damaligen Verbrechen, im Überdenken der heutigen gesellschaftlichen Lage und als Mahnung im Blick auf das morgen.“

Christian Schuchardt, Oberbürgermeister der Stadt Würzburg

Das Riga-Komitee verbindet so lokales Gedenken an jüdisches Leben in vielen Gemeinden und Städten mit dem transnationalen Gedenken am gemeinsamen Zielort der Deportation, in Riga.

 

Jugendarbeit lebendiges Band

Bei den Workcamps, die der Volksbund für die Gedenkstätte Riga und in Lettland anbietet, arbeitet er eng mit den Städten des Riga-Komitees zusammen. Wenn internationale Jugendgruppen die Anlage pflegen und sich über Geschichte austauschen, wenn Freundschaften entstehen, wird ein lebendiges Band der Erinnerung und der Begegnung zwischen Riga und den Städten geknüpft, von denen damals die Sammeltransporte ausgingen. Damit ist auch das dritte Ziel des Komitees erreicht.
 

Symposien und Reisen

Zum zehnjährigen Bestehen des Komitees fand Anfang Juli 2010 die erste Gedenk- und Erinnerungsreise von Repräsentantinnen und Repräsentanten der Mitgliedsstädte nach Riga statt. Der Wunsch nach Austausch mündete 2012 in ein erstes gemeinsames Symposium. In Magdeburg fasste damals der damalige Oberbürgermeister Lutz Trümper bei der Begrüßung zusammen, warum die Arbeit immer weitergeht und weitergehen muss: „Erinnern und Gedenken sind keine Momentaufgabe!“

Vier Gedenk- und Erinnerungsreisen gab es bis heute und im September 2024 findet in Hannover das siebte Symposium statt.
 

Symbolische Mitgliedschaft

In all den Jahren sind kontinuierlich Städte und Gemeinden dem Riga-Komitee beigetreten.
Dennoch gibt es Besonderheiten. So wurden bei Gründung symbolisch außer Riga auch die Städte Brünn (tschechisch: Brno), Prag (Praha) und Theresienstadt (Terezin) aufgenommen. In Riga waren auch jüdische Menschen aus diesen Städten in großer Zahl ermordet worden.

„Wir werden nicht vergessen – das versprechen wir unseren Liebsten, die für immer verschwunden sind. Wir werden nicht vergessen – das versprechen wir auch denjenigen, die nicht hätten sterben sollen. (...) Auch 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt das Geschehen unbegreiflich”, schreibt Dr. Markéta Vaňková, Oberbürgermeisterin der Stadt Brünn. „Wir werden euch nicht vergessen. Deshalb ist Brünn ein symbolisches Mitglied des Riga-Komitees.“

„Unsere jüdischen Mitbürger, die mit uns in denselben Häusern, Straßen und Städten wohnten, hätten leben sollen. (…) Wir dürfen nicht vergessen. Andernfalls kehrt das Böse wieder zurück.“

Dr. Markéta Vaňková, Oberbürgermeisterin der Stadt Brünn

Riga – Auschwitz der westfälischen Juden 

Geografisch häuften sich Beitritte in Nordrhein-Westfalen, wo das Gros der Mitgliedsstädte beheimatet ist. Die Erklärung ist einfach und lässt zugleich schaudern: Riga ist das Auschwitz der westfälischen Juden. Hier wurden die meisten aus der Region deportierten Menschen ermordet.

„Es waren Menschen, die aus unserer Mitte gerissen wurden, Menschen, die hier lebten, arbeiteten und Familie hatten. Menschen wie Sie und ich“, betont Rainer Doetkotte, Bürgermeister im westfälischen Gronau.

„Dank an alle Aktiven des Riga-Komitees und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge für die wertvolle Arbeit um die Pflege der Gedenkstätte in Riga und die Förderung der Begegnungen von Jugendlichen am Ort der schrecklichen Taten.“

Rainer Doetkotte, Bürgermeister der Stadt Gronau (Westfalen)

„Zusammenhalt macht Botschaft aus“

„Unter den schwierigen und misslichen Umständen unserer Zeit zählt für mich eines besonders: Das Riga-Komitee steht als Städtebündnis für einen bemerkenswerten  Zusammenhalt, einen Zusammenhalt des Erinnerns. Er macht die wichtige Botschaft aus und steht für eine unermüdliche Initiative zur Bewahrung des Gedenkens“, sagt Susanne Rutenkröger, Bürgermeisterin der Stadt Bünde.

„Erinnern kann viele Formen haben“, so Rutenkröger weiter. Am eindrucksvollsten sind für sie die „lebhaften und persönlichen Geschichten der Zeitzeugen. Doch sie sterben aus. Daher dürfen wir nicht müde werden, die Vielfalt der symbolischen Erinnerungen zu fördern.“
 

Ausstellung, Homepage, Broschüren

Im Rahmen der Zusammenarbeit von Volksbund und Riga-Komitee sind Ausstellungen, eine eigene Homepage und Broschüren entstanden. Auf der Seite www.riga-komitee.eu finden sich viele weitere Informationen. Einen Überblick über die bisher erarbeiteten Materialien bietet die Mediathek – auch mit der Möglichkeit, einzelne Exemplare zu bestellen.

Der Volksbund hatte nach Aufnahme des 80. Mitglieds alle Stadtoberhäupter um Statements gebeten, warum die Mitarbeit aus ihrer Sicht wichtig ist. Sie werden nach und nach auf den Seiten des Riga-Komitees veröffentlicht: Mitgliedsstädte (riga-komitee.eu).

Einen Artikel zur Eröffnung der Dauerausstellung am 4. Juli 2022 finden Sie hier: Das Grauen in den Wäldern von Riga-Bikernieki.

Text: Thomas Rey
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Der Volksbund ...

... ist ein gemeinnütziger Verein, der dringend auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen ist. Im Auftrag der Bundesregierung sucht und birgt er Kriegstote im Ausland, bestattet sie würdig und pflegt ihre Gräber in 46 Ländern. Er betreut Angehörige und erreicht mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten jährlich mehr als 30.000 junge Menschen.

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