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Visionen für Menschlichkeit und Versöhnung - Sohn des „Retters des Pianisten Szpilman“ gestorben

Zum Tode von Dr. Detlev Hosenfeld

Dr. Detlev Hosenfeld, geb. am 4. August 1927, arbeitete nach seinem Studium erst als Kinderarzt und später als Humangenetiker an der Universität Kiel. Seit seiner Pensionierung widmete er sich hauptsächlich dem Andenken und dem Nachlass seines Vaters Wilm Hosenfeld, der 1944 in Warschau als Wehrmachtsoffizier den Pianisten Wladyslaw Szpilman und weitere Polen und polnischen Juden rettete und gleichwohl als Kriegsverbrecher verurteilt wurde. Szpilman schrieb sein Buch „Mein wunderbares Überleben“, das von Roman Polanski Oscar-prämiert („Der Pianist“) verfilmt wurde.

Detlev Hosenfeld war der jüngere von zwei Söhnen Wilm Hosenfelds, der als Dorflehrer in der Rhön ihn zwei Jahre lang unterrichtete. Zu Beginn des Jahres 1944 sah der 16-jährige Detlev Hosenfeld seinen Vater zum letzten Mal. Oft erzählte er sichtlich bewegt von dieser letzten Begegnung:

„Das war im Februar 1944. Da hatte ich Urlaub. Ich war Luftwaffenhelfer und kam aus Kassel. Und er hatte Urlaub. Und da ist mir bis heute ganz genau im Gedächtnis, dass er über die Konzentrationslager erzählt hat. Von der Tötung der Juden und der Vergasung und der Beseitigung der Leichen. Dass es eine Gruppe von Häftlingen gab, die die Leichen entfernen mussten. Und die wurden anschließend alle erschossen, damit sie das nicht weiter erzählen konnten. Das ist etwas, was mir von da an ganz genau im Gedächtnis geblieben ist.“ (Zitat aus einem mündlichen Vortrag Detlev Hosenfelds)

Durch die Sowjets wurde Wilm Hosenfeld als Kriegsverbrecher verurteilt und kam in ein Kriegsgefangenenlager nach Stalingrad. Im Februar 1952 wurde er nach einem erneuten Gehirnschlag in das dortige Gefangenenhospital eingeliefert. Er erholte sich nicht mehr und starb am 13. August 1952. In einem Massengrab unweit des Hospitals ist Wilm Hosenfeld begraben. Sein Name steht auf einem der Gedenkwürfel auf der Anlage des Volksbundes in Rossoschka.

Im Oktober 2007 wurde Wilm Hosenfeld postum durch den polnischen Präsidenten Lech Kaczyński für die Rettung polnischer Bürger mit dem Orden Polonia Restituta (Komtur) geehrt. Postum hat die israelische Shoah-Gedenkstätte „Yad Vashem“ Wilm Hosenfeld  2009 als einen von knapp 500 Deutschen mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Vorausgegangen waren intensive Recherchen seitens der Gedenkstätte, die sicherstellten, dass Hosenfeld in keine Kriegsverbrechen verwickelt gewesen war.
 
2005 hat Detlev Hosenfeld zusammen mit der Universität Lüneburg den Szpilman-Hosenfeld-Gedenkpreis ins Leben gerufen, der ethisches Widerstandshandeln während des Nationalsozialismus in den Blick der Öffentlichkeit rücken möchte.

Im diesem Sinne weihte er auch mit seiner Schwester „Moni“ und in Anwesenheit vieler weiterer Familienmitglieder am 1. September 2007 den Wilm-Hosenfeld-Platz auf dem Gelände der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte Golm auf Usedom ein. Die deutsch-polnische Versöhnung blieb Detlev Hosenfeld ein wichtiges Anliegen. Der bei Kiel lebende Hosenfeld blieb der Bildungs- und Versöhnungsarbeit des Volksbundes intensiv verbunden und prägte unter anderem auch 2012 zum Wirken seines Vaters zwei Diskussionsabende des Volksbundes in Kamminke und Greifswald.

Bei der ersten Verleihung des Szpilman-Hosenfeld-Preises in Lüneburg sagte er: „Wir Kinder von Wilm Hosenfeld können nicht das Grab unseres Vaters besuchen, weil es nicht mehr existiert. Sein Andenken lebt jedoch am sinnvollsten weiter, wenn seine Visionen von Menschlichkeit und Versöhnung, die ihn zum Retter werden ließen, weiter getragen werden.“

Dass Visionen von Menschlichkeit und Versöhnung Realität werden, dazu hat Detlev Hosenfeld in seinem Leben mehr als nur einen Beitrag geleistet. Für den 11. Februar 2016 hatte Detlev Hosenfeld noch seine aktive Teilnahme an einer Veranstaltung zum Leben seines Vaters in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin geplant.

Am Mittwoch, dem 27. Januar 2016, ist Detlev Hosenfeld im Alter von 88 Jahren verstorben.

 

Ein Land voller Massengräber und kaum jemand, der noch einen Kaddisch sagen kann: Auf den Spuren der Shoah in Lettland

Im September 2024 unternahmen Mitarbeitende der Gedenkstätten sowie Mitglieder des Gedenkstättenvereins und MultiplikatorInnen aus dem Osnabrücker Raum und Berlin vom 26. August bis 1. September 2024 eine Reise nach Litauen und Lettland zu Orten der Shoah im Baltikum. Die Reise erfolgte im Rahmen der Ausstellung "Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland", die vom 7. April bis 1. September 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war. Die Autorin war eingeladen worden, an dieser Reise teilzunehmen. Sie stellt uns ihren Bericht für diese Veröffentlichung kostenfrei zur Verfügung.

Am 13. Dezember 1941 wurden 35 Osnabrückerinnen und Osnabrücker gezwungen, in einen Zug zu steigen, der sie in mehrtägiger Fahrt nach Riga in Lettland brachte. Sie selber kannten das Ziel nicht. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen. Fünfzig Kilo an Gepäck waren alles, was sie mitnehmen durften, und auch wurde ihnen bei der Ankunft weggenommen, als sie mit Eisenstangen aus dem Zug in die eisige Kälte von minus 30 bis 40 Grad geprügelt wurden. Kleine Kinder und alle, die den weiten Weg in das Ghetto nicht schafften, wurden gleich ermordet. „Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“ – dieser Satz stammt von Ewald Aul, einem der fünf Osnabrücker Überlebenden dieser Deportation, später langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Osnabrück.

Diese Reise war nicht leicht, manche Eindrücke nur schwer zu verkraften Es war eine Reise auf den Spuren von Massenmorden, die auch emotional belastete, und dennoch eine Reise mit vielen wertvollen Begegnungen mit Menschen, die sich dafür engagieren, die Menschen, die diesen Morden zum Opfer fielen, der Vergessenheit zu entreißen, wo das noch möglich ist, und ihnen dadurch ihre Würde zurückzugeben. Unter diesen Ermordeten, für die niemand das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sprach, sind 30 Osnabrückerinnen und Osnabrücker. Drei davon, die Geschwister Edith, Carl und Ruth-Hanna Stern, waren noch kleine Kinder.

Am 31. Juli 1941 wurde der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, von Reichswirtschaftsminister Hermann Göring mit der Vorbereitung der Endlösung der Judenfrage beauftragt, der systematischen Ermordung aller europäischen Juden. Im Oktober 1941 ordnete Hitler die Deportation der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Reichsgebiet an. Sie wurden in Transporten von je 1.000 Personen in die Ghettos Lodz in Polen, und Minsk in Belarus, Kaunas und Vilnius in Litauen und das lettische Riga gebracht.

In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde der Holocaust über Jahrzehnte verdrängt und tabuisiert. Neue Verbrechen durch das stalinistische Regime überlagerten die Erinnerung an die deutsche Besatzung und die Verfolgung von jüdischen Menschen und anderen Bevölkerungsgruppen. Für die Sowjetunion gab es keine jüdischen Opfer und damit auch keinen Holocaust. Die Ermordeten waren alle Sowjetbürgerinnen und -bürger. Es ging um Heldengedenken, alle Toten galten gleichermaßen als „Opfer des Faschismus“. Die Erinnerung an die massive Beteiligung der einheimischen Bevölkerung an den Morden wird den Litauern und Letten auch heute kaum zugemutet.